Ich weiß, dass ich eigentlich froh sein sollte, nicht sterbenskrank zu sein. Ich weiß, dass ich eigentlich froh sein sollte, therapiert werden zu können. Ich weiß, dass ich eigentlich immer positiv denken sollte, um leichter genesen zu können. Aber es geht manchmal einfach nicht. Seit meinem 16. Lebensjahr leide ich unter rezidivierenden Harnwegsinfekten. Ich hatte so gut wie jeden Monat eine Entzündung und musste Antibiotikum nehmen. Irgendwann fing es an, dass die ständigen Schmerzen und Entzündungen mein Leben kontrollierten. Ich saß zwischenzeitig nur noch zuhause herum und habe Unternehmungen, so gut es ging vermieden. „Skifahren? – Nein, besser nicht, da ist es kalt, was schlecht für die Blase ist, und was ist, wenn ich währenddessen eine Entzündung bekomme? Am Berg, auf den Ski kann ich nicht einfach aufs Klo gehen und die Schmerzen sind ja auch unerträglich“. „Einen Ausflug weiter weg unternehmen? – Um Gottes Willen, was wenn ich eine Entzündung bekomme? Ich kann nicht mit einer Blasenentzündung solange im Auto sitzen“. Ständig begleitete mich die Angst davor, einen Harnwegsinfekt zu bekommen. Ich schränkte mein Leben extrem ein und es war fürchterlich. Zwischenzeitig hatte ich sogar Angst davor, aufs WC zu gehen um zu urinieren. Was, wenn es plötzlich zu brennen beginnt und die albtraumhaften Schmerzen wieder da sind? Ich denke, dass fast jeder in seinem Leben schon einmal eine Blasenentzündung hatte. Man weiß, wie sich das Gefühl von ständigem Harndrang anfühlt. Dein ganzer Genitalbereich brennt und wenn man aufs Klo läuft, weil man denkt, sich anzumachen, kommen nur ein paar extrem schmerzhafte Tropfen heraus. Mich begleiten dann noch Symptome von Schüttelfrost und Fieber. Wenn man ständig Schmerzen hat und dadurch auch in seiner Lebensqualität eingeschränkt ist, nagt das ziemlich an der Psyche. Ich bekam sehr viele verschiedene Therapien und ich versuchte auch alle natürlichen pflanzlichen Mittel anzuwenden, die mir bei meinem Problem helfen könnten. Wenn man allerdings immer nur wenig Erfolg damit hat, gibt man irgendwann auf, beziehungsweise wird langsam müde, weiter dagegen anzukämpfen. Ich flog des Öfteren in ein tiefes Loch der Verzweiflung.

Eines Tages zwang ich mich aber wieder einmal dazu, etwas zu unternehmen und mein damaliger Freund und ich gingen wandern. Es war ein unglaublich befreiendes Gefühl auf dem Gipfel zu stehen und die Welt von oben zu sehen. Ich war frei von Ängsten und von hier oben fühlten sich all meine Schmerzen so klein an. Sie waren nicht mehr existent. An diesem Tag, an diesem Gipfel, beschloss ich, meine Krankheit nicht mehr mein Leben bestimmen zu lassen, sondern sie in mein Leben zu integrieren. Ich will mich nicht mehr von ihr leiten lassen und anfangen mein Leben wieder selbst zu bestimmen. Als ich anfing, keine Angst mehr davor zu haben, eine Blasenentzündung zu bekommen, hatte ich immer weniger Probleme. „Skifahren? – Ja, passt. Ich zieh mich einfach warm an, trinke vorher meinen Zinnkrauttee und nimm meine ganzen Mittelchen. Wenn ich dennoch eine Entzündung bekommen sollte, müssen wir halt abbrechen.“ Diese neue Einstellung bewirkte Wunder und ich bekam so viel neue Lebensqualität dazu. Natürlich ging die Erkrankung nicht ganz weg, aber sie wurde weniger und ich war einfach wieder glücklicher, da ich mich nicht mehr einschränken lies.

In das nächste Loch fiel ich dann wieder im frühen Erwachsenenalter, als mein Kinderwunsch extrem groß war, aber sich einfach nicht erfüllen wollte. Durch Untersuchungen stellte man unter anderem das PCO-Syndrom, Endometriose und andere Unstimmigkeiten in meinen Geschlechtsteilen fest. Es war frustrierend, alle möglichen Hormone und Medikamente einnehmen zu müssen, um trotzdem jeden Monat einen negativen Schwangerschaftstest vor mir liegen zu sehen. Durch den Hormoncocktail hat sich auch meine Stimmung und meine Art verändert. Ich war nicht mehr ich selbst und auch mein Umfeld hat dies bemerkt. Ich litt extrem unter Stimmungsschwankungen und konnte nichts gegen mein Verhalten unternehmen. Ich spürte, dass etwas nicht mit mir passte, aber was sollte ich tun – ich wollte doch unbedingt ein Baby bekommen. Neben all diesen Strapazen hatte ich natürlich auch noch mein Blasenproblem. Irgendwann hörte ich auf, all diese Hormone zu nehmen und mir einmal eine Auszeit zu gönnen. Ich musste mich wieder ein wenig von all der psychischen Belastung und den Enttäuschungen erholen. Ich schaffte es wieder, aus diesem Loch herauszukommen und lebte wieder mein Leben in vollen Zügen.

 Vor nicht allzu langer Zeit kam dann der nächste gesundheitliche Einbruch. Ich erlitt ich eine beidseitige Lungenembolie inkl. Lungeninfarkt. Ich konnte am Anfang kaum 5 Minuten durchgehen, ohne außer Atem zu sein. Mein Immunsystem wurde durch diesen akuten Vorfall leider wieder komplett zerstört, weshalb ich nun wöchentlich unter meinen altbekannten Blasenentzündungen litt. Es war die absolute Hölle. Ich musste langsam wieder meine Lunge trainieren und nebenbei musste ich irgendwie damit umgehen, nicht nur Schmerzen beim Atmen, sondern auch noch jede Woche unsagbare Schmerzen wegen meiner Blasenentzündungen zu haben. Ich konnte nicht auf meine heilenden Berge gehen und sogar ein kleiner Spaziergang brachte mich an meine Grenzen. Zwischenzeitig fragte ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, einfach an der Embolie zu sterben. Will ich so weiterleben? Wie soll ich jede Woche diese Schmerzen aushalten können? Wird es jemals besser werden? Ich wusste aber, dass Aufgeben auch keine Option ist und ich es einfach wieder versuchen müsste, aufzustehen, alleine meiner Familie zuliebe. Also trainierte ich fleißig weiter, um meine Lunge wieder zu kräftigen. Wenn mein Immunsystem besser wird, wird auch mein Blasenproblem wieder besser. Und so kam es auch. Ich wurde wieder stärker und ich bemühte mich auch für die Blase wieder jede Therapieoption auszuprobieren. Ich bekam langsam wieder an Lebensqualität zurück und ich dachte wirklich, dass ich es nun endlich geschafft habe und jetzt mal Ruhe vor gesundheitlichen Problemen habe.

Leider kamen mir dann allerdings wieder meine leidigen Geschlechtsorgane in den Weg. Natürlich war mein PAP-Abstrich wieder auffällig und nach den erfolgten Biopsien und der erneuten Diagnose Gebärmutterhalskrebs-Vorstufe musste ich mich einer Konisation unterziehen. Schon wieder Krankenhaus, schon wieder körperliche Schonung und schon wieder einige Zeit ohne meine geliebten Berge. Es ist wirklich schwer, jedes Mal zu kämpfen um danach immer wieder erneut von etwas überrannt zu werden. Irgendwann verlässt einen die Stärke nach vorne zu sehen und immer positiv zu denken. Irgendwann will man einfach, dass es endlich aufhört.

…Aber in diesen Momenten denke ich dann an meine großartige Tante, die so viele Schicksalsschläge erlitten hat, gesundheitlich absolut kein gutes Los gezogen hat, damit ihr restliches Leben umgehen muss, und dennoch einer der positivsten und lebensfrohesten Menschen ist, die ich kenne…Ich denke an Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden und wissen, daran sterben zu müssen…ich denke an die vielen Kinder in der Onkologie, die in ihren so jungen Jahren schon so viel Leid ertragen müssen und im schlimmsten Fall ihr restliches Leben nie erleben werden…
Ich denke daran, wie gut es mir geht. Ich darf noch immer mein Leben weiterleben und schöne Momente sammeln. Habe tolle Freundinnen, die sofort zur Stelle sind, wenn es mal brennt und mir stets ihre Ohren schenken und mir mit Rat beiseite stehen. Habe eine Schwester, mit der ich zwar nicht meine Gene teile, aber dafür mein Herz. Habe einen wundervollen großen Bruder, der mich wie ein Löwe immer beschützten wird und dem ich mein Leben anvertrauen würde. Quasi mein garantierter bester Freund auf Lebzeiten. Habe so unglaublich starke Eltern, die uns Kinder immer mit ihrem Leben beschützen würden, ständig abrufbereit für uns sind, und uns mit all ihren Möglichkeiten zu jeder Tages- und Nachtzeit unterstützen. Sie versuchen stets stark und positiv für uns zu sein und uns all ihre Liebe zu schenken, damit wir niemals das Gefühl haben, alleine zu sein. Und neben all dem, habe ich noch dazu einen unglaublich wundervollen Mann an meiner Seite, der mich am Tiefpunkt meines Lebens aufgefangen hat, mir wieder neue Hoffnung gegeben hat, mich unterstützt und liebt, trotz meiner ganzen Macken und teilweise gesundheitlichen Einschränkungen, die er aber liebevoll mit mir gemeinsam trägt.

Ich habe so viel Gutes in meinem Leben, was mich unglaublich dankbar macht.

Image by Freepik

Categories:

Tags:

Noch keine Kommentare vorhanden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert