Ein kurzer Impuls

Stell dir vor, du gehst barfuß in deiner Wohnung umher. In deiner Hand befindet sich ein großes Glas Wasser. Beim Durchschreiten des schmalen Ganges übersiehst du ein kleines Hindernis am Boden und du stolperst. Du versuchst dich noch vergeblich irgendwo festzuhalten und lässt reflexartig das Glas aus. Es zerbricht und du kommst plötzlich auf seinen Scherben zu liegen. Du spürst, wie sich das Glas in deine Hände bohrt. Es tut weh. Im ersten Moment bist du in einer Schockstarre gefangen und musst dich erst einmal sammeln. Nachdem du realisiert hast, was passiert war, erkundest du die Lage, in der du dich gerade befindest und suchst nach dem perfekten Ausweg. Deine Hände bluten bereits und du weißt, dass es Zeit wird wieder aufzustehen, um ihnen nicht noch mehr Schmerz zuzufügen. Im Stand kannst du die Lage nun besser einschätzen und leider musst du feststellen, dass sich die Scherben im kompletten Gang verteilt haben. Es führt somit kein Weg daran vorbei, barfuß durch die Scherben zu gehen. Du versuchst, den idealsten Weg zu finden und setzt den ersten Schritt nach vorne. Trotz deiner Versuche, den Scherben auszuweichen, bohren sich zahlreiche Splitter in deine Füße und es tut verdammt weh, aber du weißt, dass du weitergehen musst, damit du wieder auf normalen Boden gehen und deine Wunden versorgen kannst. Deshalb machst du weiter. Schritt für Schritt schreitest du voran. Einige Scherben zersplittern unter deinen Füßen und es wird immer schmerzhafter. Aber dennoch gehst du weiter, auch wenn es noch so schwierig ist, weil du weißt, dass es nur so aufhören kann. Nach einer gefühlten Ewigkeit stehst du nun endlich vor deinem Apothekerschrank und kannst deine Wunden versorgen. Du blutest sehr stark und es brennt, aber du bist sehr froh darüber, es geschafft zu haben und nun endlich die Scherben wegräumen zu können.

Die ersten Tage nach dem Scherbenunglück sind immer noch sehr hart für dich. Die Schritte tun immer noch weh und erinnern dich ständig an das Erlebnis. Aber mit der Zeit heilen deine Wunden und die Erinnerungen daran verblassen. Ab und zu denkst du noch daran, wenn du deine Narben siehst, aber das Ereignis ist so weit in die Ferne gerückt, dass es nicht mehr weh tut. Es ist ein Teil deiner Geschichte geworden und diesen Teil wirst du für immer mit dir tragen. Es ist ein Teil deiner Vergangenheit, aus dem du so viel gelernt hast. Du weißt, dass wenn es wieder passieren sollte, du nur weitergehen musst. Die Schmerzen werden vergehen und die Erinnerungen verblassen und du, du wächst daran und hast gelernt, auf Scherben zu gehen.

Natürlich hättest du auch stehen bleiben können, als du gesehen hast, dass der Weg nicht an den Scherben vorbeiführt und somit aussichtlos scheint. Du wärst auf den Scherben stehengeblieben, erdrückt vom Gefühl im Scherbenmeer und dem schmalen Gang gefangen zu sein. Die Schmerzen wären nicht weggegangen, du hättest dich zwar irgendwann daran gewöhnt, aber sie wären für immer deine ständigen Begleiter gewesen und du wärst immer mehr in tiefer Traurigkeit versunken und hättest all die schönen Erlebnisse deiner Zukunft verpasst….

Manchmal sinkt man in ein tiefes Loch und man glaubt, keinen Ausweg finden zu können. Man versucht so vieles, aber man kommt einfach nicht raus und man hat das Gefühl, sich ständig im Kreis zu drehen. Man hat das Gefühl, dass sich seine ständigen Bemühungen nicht lohnen und man seine Energie umsonst aufwendet. Jeder gescheiterte Versuch, treibt einen gefühlsmäßig noch mehr in die Tiefe und irgendwann hört man vor lauter Verzweiflung und Enttäuschung auf, es weiter zu versuchen.
Aber wenn man aufhört, es weiter zu versuchen, kann man nicht mehr erkennen, dass man dem Ausweg eigentlich schon so Nahe war.

Und das Leben und die schönen Erinnerungen, die man darin sammeln kann, ist es wert, nicht aufzugeben. Du bist es wert. Also hör bitte niemals auf, auch auf Scherben zu gehen.

Image by Freepik

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2 Kommentare

  1. Das du beschreibst, ist genau der Unterschied von den Menschen, die einen sind gefangen im engen Gang und fügen sich eventuell noch mehr Schmerzen zu und der andere Teil geht Schritt für Schritt weiter, versucht, die Wunden zu heilen. Die Zeit heilt, dass weiß ich aus eigener Erfahrung. Die Narben sind ein Teil von mir aber genauso meine Lachfalten. Die Schritte aus meinen engen Gang haben meine Seele geheilt und mit Lachen, Liebe und Dankbarkeit gefüllt. Ich reiche jedem meine Hände zur Hilfe, ein Pflaster für die Wunden. Danke für deine Hand

  2. Danke für diesen tollen Brief, er hat mich sehr berührt. Er erinnert mich an viele Situationen in meinem Leben. Und ja es Lohnt sich immer nach vorne zu schauen, und weiter zu gehen. Um das Leben in vollen Zügen zu genießen.

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